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Lesung: Tina Pruschmann – „Untertann“ (Manuskript)

Im Rahmen von „Leipzig liest an Leipzigs längster Straße“ präsentieren wir am 12.03.2020 um 19 Uhr im JEDERMANNS SPD-Bürgerbüro (Georg-Schumann-Str. 133, 04155 Leipzig):

„Untertann“ – Lesung aus unveröffentlichten Texten mit der Autorin Tina Pruschmann

Ida kehrt nach zwanzig Jahren aus Kiew nach Untertann zurück, in den Ort, in dem sie die Hälfte ihrer Kindheit verbracht hat. Sie ist Anfang vierzig und alles, was sie besitzt, passt in einen Rucksack, der Handgepäckgröße misst: zwei Hosen, vier T-Shirts, drei Pullover, eine Jacke, diverse Strümpfe und Unterwäsche, eine zerkaute Zahnbürste, ein Smartphone, ein Laptop, einen Pass, dazu ein bisschen Geld auf einem Konto. Sie soll das Haus ihrer Großeltern übernehmen, weil ihr Vater, der dort lebt, an Parkinson erkrankt ist und immer gebrechlicher wird. Untertann war bis 1990 geprägt vom Uranbergbau der sowjetisch-deutschen Wismut AG. Im Spätsommer 2016 ist davon nichts mehr zu sehen: Aus dem „Tal des Todes“, wie es einmal in einem überregionalen Nachrichtenmagazin hieß, ist eine blühende Landschaft geworden. Doch so idyllisch der Ort sich präsentiert, so brodelt es unter der Oberfläche: Die Stimmung ist so aufgeladen wie seit 1989/90 nicht mehr.

In die Erzählung um Idas Rückkehr wird die Geschichte ihrer Familie eingeflochten. Ihre Eltern sind Stars des DDR-Staatszirkus. Ida verbringt ihre frühe Kindheit und später jede Ferienwoche im Zirkus und auf Tournee. Als sie eingeschult wird, zieht sie zu den Großeltern nach Untertann. Idas Großmutter betreibt die Bahnhofskneipe „Zum Wilden Mann“, wo die Uranbergleute regelmäßig ihr Geld versaufen. Für Ida, die eine ausgesprochene Vatertochter ist, ist klar, dass sie einmal wie ihr Vater Elefantendompteurin wird. Der Lebenstraum platzt mit dem Untergang der DDR. Nach dem Umbruch geht der Staatszirkus für eine Mark an einen westdeutschen Investor. Die Artisten werden entlassen, die Tiere verkauft. 1993 folgt sie ihrer Zirkuselefantin Hollerbusch, die an den Kiewer Zoo verkauft wurde, und geht in die Ukraine. Für die damals Achtzehnjährige ist es eine Möglichkeit, dem Zerfall ihrer Familie, dem Kontrollverlust und der Hilflosigkeit der Elterngeneration in der Nachwendezeit zu entfliehen. Zum anderen folgt sie der Spur des Urans, das verhängnisvoll ihren Heimatort und ihre Familie geprägt hat und mit dem 1986 der Reaktor von Tschernobyl explodiert ist.

Der Roman „Untertann“ spielt zu einem großen Teil in der Vor- und Nachwendezeit. Er erzählt eine Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Umweltzerstörung durch den Uranbergbau der Ex-DDR und der Katastrophe von Tschernobyl. Sie stehen als Fanal für eine Gesellschaft, die für jedes Problem eine technokratische Lösung sucht, eine Gesellschaft, in der nichts mehr verhandelt wird, eine, wie sie der Realsozialismus hervorgebracht hat.

Die Autorin

Tina Pruschmann
… 1975 geboren, aufgewachsen in Gera, Leipzigerin. Der Versuch, einen ordentlichen Beruf zu ergreifen, führte sie in Juravorlesungen, an eine Förderschule, in eine psychiatrische Klinik und in das Lehrerzimmer einer Berufsfachschule. Studiert hat sie Soziale Verhaltenswissenschaft und Soziologie. Ihr Debütroman „Lostage“ ist 2017 im Residenz Verlag erschienen. 2019 erschien (gemeinsam mit dem Hallenser Fotografen Marco Warmuth) im Mitteldeutschen Verlag der Band „Gottgewollt“ – ein Foto-Interviewband über die in Deutschland letzte Generation der katholischen Schwestern von der heiligen Elisabeth. Das Projekt wurde von der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt mit Arbeits- und Ausstellungsstipendien gefördert. Gegenwärtig arbeitete sie als Autorin, Texterin und schreibt sie an ihrem zweiten Roman „Untertann“.

Die Veranstaltung ist kostenfrei und findet trotz der abgesagten Buchmesse wie geplant statt.