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Rede zu Protokoll: Debatte zur SARS-CoV-2-Impfpflicht am 26. Januar 2022 im Deutschen Bundestag

Holger Mann

Rede zu Protokoll

26.1. 2022. TOP 3, Vereinbarte Debatte zur SARS-CoV-2-Impfpflicht

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir diskutieren heute im Bundestag erstmals die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht.

Weil auch heute in Medien wieder zu lesen ist „Genug diskutiert. Entscheidet endlich!“ sei gesagt: Diese Debatte ist wertvoll und notwendig.

Zum ersten, weil der gut informierte Teil der Gesellschaft hier nicht der Maßstab sein kann.

So gibt es noch viele Menschen, denen der Unterschied zwischen Impfpflicht und Impfzwang nicht klar ist oder die trotz Auftreten immer ansteckender Virusvarianten meinen, dass ein Testregime ausreichen würde, die Pandemie zu bekämpfen. Denen schulden wir Informationen, Orientierung und Transparenz.

Zum zweiten, weil die Frage das Grundverständnis von Freiheit und Solidarität berührt.

Eine Impfpflicht setzt sich über das Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen hinweg, um die körperliche Unversehrtheit der Vielen zu schützen.

Damit sind zugleich Grundorientierungen und Grundwerte berührt und damit wird die Frage zu einer hier zu diskutierenden Gewissensfrage.

Zum dritten macht diese Debatte deutlich: Wir leben in einer Demokratie, die von Meinungsvielfalt und dem Suchen nach Mehrheiten geprägt ist und den Weg der Verständigung in grundsätzlichen Fragen sucht.
Dies ist ein Wert an sich, den wir uns gerade angesichts der in Teilen immer unversöhnlicher geführten Debatten erhalten müssen.

Ich danke daher vorab allen die ernsthaft die Alternativen abwägen und sich die Fähigkeit erhalten haben, einander zuzuhören.

Zur Kernfrage der möglichen Einführung einer Impfpflicht:

In zwei Jahren Pandemie haben wir Bitteres erfahren müssen. Ich komme aus einem Bundesland in denen sich 17,2% der Menschen nachgewiesen infiziert haben und bis heute leider zwei Prozent von Ihnen verstorben sind.
Wir haben aber ebenso viel gelebte Solidarität, Verantwortungsbewusstsein und Kraftanstrengungen – insbesondere in Medizin und Pflege – erlebt.

Dennoch ist die Erschöpfung nicht nur in diesem Bereich, sondern in Familien, der ganzen Gesellschaft und vielen Teilen der Wirtschaft spürbar. Daher stehen wir in der Verantwortung die gesammelten Erfahrungen, den Fortschritt an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden der Risikominimierung zu nutzen und alles zu tun, damit wir keinen dritten Pandemie-Winter erleben müssen.

Die wichtigsten Erkenntnisse sind:

  1. Eine Pandemie ist keine Privatangelegenheit.
  2. Impfen ist der wirksamste Schutz gegen die Virusinfektion und vor allem deren gesundheitlichen Folgen.

Nach 160 Millionen in Deutschland verabreichten Impfdosen und 10 Milliarden auf der ganzen Welt ist klar: Medizinisch ist eine Impfung absolut sinnvoll, sicher und ihr Nutzen erwiesen.

Die Zahlen des Robert-Koch-Institutes zeigen es deutlich: Geimpfte haben ein 17mal niedrigeres Risiko durch Corona auf der Intensivstation zu landen als Ungeimpfte. Noch eindeutiger fällt diese Statistik bei Todesfällen und Langzeitfolgen aus.

Eine hohe Impfquote ist damit geeignet das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen und damit auch das Leben von Menschen, die andere schwere Krankheiten haben, aber derzeit nicht behandelt werden können.

Allen bietet sie die Chance wieder unbeschwerter leben zu können.

Zu diskutieren bleibt daher, ob wir Menschen durch die Verhängung von Ordnungsgeldern dazu drängen sollten.

Besser wäre es, wenn sich die Menschen selbst vom Nutzen der Impfung überzeugen. Eine schlaue und solidarische Mehrheit hat dies ja bereits.

Aber auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie verfügen erst 73% der Bevölkerung über die Grundimmunisierung, obwohl es in unserem Land an Möglichkeiten nicht mehr mangelt. In meinem Bundesland liegt die Quote sogar nur bei 62% – ein Negativrekord, der die hohen Infektions- und Todeszahlen ermöglicht.

Nach allem was wir wissenschaftlich gesichert und empirisch wissen, reicht diese Impfquote bei weitem nicht aus, die Zahl der schweren Infektionen so einzudämmen, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen ist.

Alternativen zum Impfschutz konnte bisher jedoch niemand überzeugend benennen. Umfangreiche Kontaktbeschränkungen haben auf Dauer zu hohe Kosten, nicht nur ökonomisch, sondern auch psychologisch und nicht zuletzt sozial.

Bauliche Maßnahmen, wie Luftfilter oder hygienische wie Desinfektion und Masken reduzieren Risiken, können aber Infektionen gerade in geschlossenen Räumen nicht ausreichend eindämmen.

Schnelltests sind fehleranfällig, auch PCR-Tests bieten durch den zeitlichen Verzug kein praxistaugliches System des Infektionsschutzes. Sie sind zudem teuer.

Eine allgemeine Impfpflicht ist für mich daher das verbliebene letzte Mittel, wenn der Staat alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft hat.

Hier gibt es jedoch noch zwei wichtige zu hebende Potentiale, die auch nach dem Ablauf einer ggf. befristeten Impfpflicht wirken würden:

  • die direkte Ansprache mit leicht verständlichen Informationen und konkreten, erreichbaren Impfangeboten,
  • Vorteile für alle vollständig Geimpften, wie die Zahlung einer Präventions-Prämie.

Diese Maßnahmen setzen genau dort an, wo wir nach Umfragen und Studien die höchsten Defizite im Impfschutz in der Bevölkerung haben: Bei Menschen mit geringerem Bildungsstand sowie Menschen mit niedrigerem Haushaltseinkommen und Jüngeren.

Bei der erst genannten Gruppe besteht die Herausforderung wissenschaftlich evidente Erkenntnisse in – auch für Menschen mit geringer Sprachkenntnis oder Analphabetismus – verständlich aufbereitete Informationen zu übersetzen.

Hier sahen vor allem Expert:innen aus dem deutschen Ethikrat noch Chancen Menschen in bisher abgeschlossenen Communities für das Impfen zu gewinnen. Übrigens auch durch proaktive Kommunikation gegen Impfmythen, wie angeblich niedrigere Fertilität oder erhöhte Lebensgefahren.

Zur Wirkung von Vorteilen, wie Geldprämien möchte ich vor allem auf die Studie unter Frau Prof. Dr. Klüver von der HU Berlin mit 20.000 mehrfach Befragten verweisen.

Hiernach würden v.a. Anreize die Impfbereitschaft deutlich erhöhen. Konkret reiche schon eine finanzielle Prämie von nur 50 Euro aus die Impfbereitschaft in allen Gruppen deutlich zu erhöhen, vor allem aber bei Geringverdiener:innen und Jungen.

Eine solche Prämie sollte im etablierten System der Krankenkassen an alle mit Nachweis eines vollständigen Impfschutzes ausgereicht werden.

Aus meiner Sicht sprechen hierfür zahlreiche Gründe, u.a.:

 

* Wir würden solidarisches Verhalten belohnen und würden einen weiteren Anreiz für Prävention setzen, der auch ökonomisch sinnvoll ist.

* Die Prämie baut Brücken zu Menschen, die sich gegen jedweden Druck wenden und gibt ihnen einen Anlass für eine positive Impfentscheidung oder sogar ihre bisherige Einstellung zu ändern.

* Wir würden die Gesundheits- und Ordnungsbehörden entlasten, die heute schon mit Kontrollen und Durchsetzung der Maßnahmen stark gefordert bis überlastet sind.

* Wir wirken einer weiteren Radikalisierung entgegen. Auch die „Staatsferne“ einer Lösung über Prämien und Krankenkassen würde es undemokratischen Strukturen schwieriger machen, diese binäre Frage gegen den Staat und politisch Verantwortliche zu instrumentalisieren.

* Wir stärken die Prävention in der Gesundheitspolitik und hätten zugleich ein flexibles, lernendes Element um bei Neuentwicklungen der Pandemie oder neuen Viren gegenzusteuern.

Angesichts von hohen Kosten bei der Corona-Behandlung würde zudem ein positiver Kostenausgleich unter den Versicherten erreicht. Ansätze sind bereits vorhanden. So haben Krankenkassen bereits Bonusprogramme. Von meiner AOK+ weiß ich, dass es für die Corona-Impfung Bonuspunkte (ca. 5 € pro Person) gibt. Also gibt es bereits Erfassungs- und Abrechnungssysteme, die offensichtlich auch datenschutzkonform sind.

Kurzum: Wir würden mit einer Prämie einen niedrigschwelligen Anreiz für das Impfen setzen, der hilft mit angemessenen Mitteln eine höhere Impfquote auf Basis einer selbstbestimmten Entscheidung der Bürger:innen zu erreichen.

Das Instrument einer Präventions-Pandemie-Prämie würde dabei die von den Expert:innen empfohlenen kommunikativen Maßnahmen, um die Menschen niedrigschwellig für Impfung zu werben, perfekt ergänzen.