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Redebeitrag im Sächsischen Landtag zur Bilanz „30 Jahre Freistaat Sachsen“

Zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu einer Bilanz von 30 Jahre Freistaat Sachsen meldete ich mich im Plenum des Landtages zu Wort. Meine vollständige Rede gibt es hier als Text und ist auf der Seite des Sächsischen Landtages als Video abrufbar.

Sehr geehrte Frau/ Herr Präsident*in,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Fraktion die Linke im hohen Haus gibt uns heute die späte Gelegenheit – anhand ihrer Großen Anfrage – über die Bilanz von 30 Jahre Freistaat Sachsen zu debattieren.

Vielleicht ist es ja auch ganz gut, dass die Debatte knapp ein halbes Jahr nach den Festakten und Zeremonien stattfindet. Gemeint ist nicht, dass wir im Oktober im Angesicht der sich aufbauenden 2. Corona-Welle verständlicherweise andere Probleme hatten.

Was ich meine ist, dass mit zeitlichem Abstand ein unbefangenerer Blick und eine freiere Rede darüber möglich ist, was in 30 Jahren gelungen ist und was eben auch nicht.

Das sicher auch, weil es Zeit braucht, bis die Wunden des Scheiterns heilen oder sich Erfolge des Gelingens sammeln.

Deshalb zu den Inhalten:

Vorweggeschickt sei, dass die ökonomischen Themen ihrer Großen Anfrage nicht nur ihre Berechtigung haben, sondern für sicherlich viele Fachpolitiker*innen hier, aber hoffentlich auch Medien hochspannend sind.

Aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sicht möchte ich einige Aspekte herausgreifen:

Tarifbindung:

Laut der Antwort der Staatsregierung im auf Frage 20 zum Thema „Wirtschaft“ waren 2019 nur 18 % aller sächsischen Unternehmen tarifgebunden. Zuletzt waren 43 % aller sächsischen Arbeitnehmer:innen in Betrieben mit Tarifbindung tätig. Weniger als 20 Prozent der sächsischen Unternehmen entlohnen weniger als die Hälfte aller Sächsinnen und Sachsen ohne Tarifbindung.

Leiharbeit:

Stand Juni 2019 waren in Sachsen knapp 42.000 also grob 2% Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Leiharbeit tätig.

Probleme bei der Fachkräftesicherung wachsen:

Infolge des demografischen Wandels werden bis 2030 voraussichtlich etwa 20 % der derzeit Beschäftigten in Sachsen in den Ruhestand gehen. Der Mangel an Fachkräften und Unternehmensnachfolger:innen ist heute schon ein immenses Problem und wird in naher Zukunft noch wachsen.

Der Osten als „verlängerte Werkbank

Insbesondere die Automobilbranche ist auch in Sachsen nicht wegzudenken: Mit VW, BMW und Porsche sind gleich drei der großen deutschen Automobilkonzerne auch in Sachsen präsente Arbeitgeber. Nichtsdestotrotz befinden sich die Entwicklungsstandorte – wie bei vielen anderen Unternehmen – nach wie vor fast ausschließlich in den alten Bundesländern. Das führt dazu, dass in den ostdeutschen Dependancen zumeist hochqualifizierte Leute für – im Vergleich zu den westlichen Standorten – niedrigere Löhne mit weniger Aufstiegschancen vor Ort arbeiten.

 

Kurzum, manches ist erreicht, anderes nicht. Die Analyse des Finanzministers in der vorvorherigen Fragestunde ergänzt viele Befunden, über die – eher finanzpolitischen motivierten – Schlüsse daraus kann und haben wir ja bereits leidenschaftlich gestritten.

Wir sind also nicht nur auf dem Weg, sondern vielleicht auch an einer Weggabelung.

ABER: Abseits dieser eher ökonomischen Analysen sollte man sich 30 Jahre danach auch grundsätzlichere Fragen stellen.

Was bedeutet eine sächsische Identität?    Ist diese inklusiv oder exklusiv? Gastfreundlich oder fremdenfeindlich?

Wohin weisen ihre Bezugspunkte? In die Zukunft oder die Vergangenheit?

Mit welchen Tugenden (Stichwort: Reformation, Forschergeist, Gastfreundschaft) und kulturellen Transfers ist unser Land zu den Blühten der Vergangenheit gelangt? & Was sollten wir heute daraus lernen?

Haben wir noch den Mut – in einer Zeit der Erschütterungen und Unsicherheit Neues zu wagen und aus Tradition Grenzen zu überschreiten?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin hier in Dresden geboren, habe hier mehr Verwandschaft als die meisten, ich bin im Erzgebirge aufgewachsen und inzwischen von Herzen Leipziger.

Mehr Sächsisch geht kaum und das sage ich mit Stolz/ durchaus selbstbewusst, auch wenn das im Rest der Republik und spätestens seit Pegida auch international, auf Unverständnis bis Mitleid trifft.

Haben wir die Kraft unsere Symbole und Riten einmal danach zu befragen, ob sie noch zeitgemäß sind und geeignet sind unseren schönen Freistaat in eine bessere Zukunft zu begleiten.

  • Tag der Sachsen: Von dem – sicher notwendigen – jährlichen Ereignis zur Sinnstiftung von Gemeinsinn und Schau der kulturellen Vielfalt, ist dieser über die Jahre doch zum leidlichen großen Trink- und Essgelage mutiert.
  • Kaum fand sich vor den Kuratoriumsentscheidungen in den letzten Jahren noch mehr als eine Gemeinde, die den erheblichen Aufwand betreiben wollte, diesen auszurichten und für zu viele Vereine – zumal ob der ins Alter kommenden Ehrenamtlichen – stellt die Absicherung der drei Tage im Spätsommer eine wachsende Herausforderung dar.
  • Wenn wir uns ehrlich machen, sind wir davon selbst als Landtag betroffen. Als Mitglied des FC Landtag e.V. weiß ich und einige hier im Rund von welchen Besetzungsproblemen wir bei der Aufstellung traditionsreichen Match gegen den Beamtenbund da spreche und MeMo: Hier geht es nur um zweimal 30 min. Von den letzten Ergebnissen mal ganz zu schweigen.
  • Aber um zum Ernst der Debatte: Die gerade eingetretene Zwangspause sollte aus unserer Sicht dringend genutzt werden, um den Tag der Beutelsachsen konzeptionell
  • Themen-Schwerpunkt‘: wie bei Kirchentagen oder es die Landeszentrale vormacht
  • Gibt es Gelegenheit für grundsätzliche gesellschaftspolitische Fragen zu erörtern und diese auch mit einem breiten Spektrum zivilgesellschaftlicher Akteure zu erörtern, anstatt nur das exekutive Handeln zu erklären
  • Wie und wie groß ist die Rolle die wir der jungen Generation beim Tag der Sachsen einräumen: Geht diese über die eher folkloristisch oder sportliche Darbietungen von Leistungen hinaus.

Kurzum: Nehmen wir die, die mit uns die Zukunft unseres Landes gestalten müssen ausreichend ernst und haben ihre Themen von Gleichstellung, Klimaschutz, gewandeltem Arbeitsbild oder digitaler Teilhabe hier einen Raum?