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Statement zur Aufhebung der Immunität von Juliane Nagel

Nachfolgend möchte ich in Bezug auf die Landtagssitzung am 16.3.2016 meinen Standpunkt dokumentieren, um die Zuschriften und Nachfragen zum Thema „Aufhebung der Immunität von Juliane Nagel“ und „Warum hat die SPD-Landtagsfraktion – geschlossen – zugestimmt?“ zu beantworten wie Position zu beziehen. Auf der Tagesordnung stand die Drs. 6/4471.

Die einfachste und kürzeste Antwort wäre: Weil Abgeordnete nicht über Recht und Gesetz stehen und nur so Juliane Nagel, die gegen Sie erhobenen Vorwürfe in einem geordneten Verfahren aus der Welt schaffen kann. Da diese Erklärung stark verkürzt ist und hier schnell Fragen von positivem Recht und gefühlter Gerechtigkeit, Ermittlung und Verfolgung sowie politischer Einstellung und formaler Verfahren durcheinander gebracht werden, möchte ich dem hier Raum geben.

Mir ist bewusst, dass die politische Wertung der Entscheidung sicherlich nicht zuletzt davon abhängig ist, wie man das Agieren von sächsischen Ermittlungsbehörden oder von Juliane Nagel subjektiv einschätzt.

Als Demokrat habe ich die Gewaltenteilung und mithin auch den Rechtsstaat und eine unabhängige Justiz zu verteidigen. Als Teil der Legislative gilt für mich daher: Eine Änderung der geübten Rechtspraxis, Sitzblockaden oder den Aufruf dazu als grobe Störung und mithin Verstoß gegen das Versammlungsrecht einzustufen, erreiche ich nur auf dem parlamentarischen Weg mit einer Gesetzesänderung, nicht jedoch in der Aushebelung von Gesetzen. Diese Änderung wäre aber mindestens ambivalent in der Wirkung.

So ist die für vielleicht viele schwer zu akzeptierende Wirklichkeit: Wer angemeldete Demonstrationen von Neonazis oder anderen blockieren im Sinne von verhindern will, muss sich bewusst sein, dass ihm oder ihr für diese geübte Zivilcourage bzw. zivilen Ungehorsam auch persönlich Konsequenzen durch Polizei und Justiz drohen können. Das macht es nicht minder moralisch – im Gegenteil.

Für die SPD-Fraktion hat Harald Baumann-Haske das Abstimmverhalten und die Beweggründe zusammen gefasst. Eine weitere Zusammenfassung von Fragen und Antworten findet man auch bei Henning Homann. Fragen, die vor der Landtagssitzung bei mir eingingen, habe ich wie folgt beantwortet:

Fragestellung war regelmäßig: Warum hat die SPD der Aufhebung der Immunität zugestimmt?

Ich empfehle dazu §73 & Anlage 6 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages, welche die Grundlagen für solche Entscheidungen beschreiben und als Maßstab für die Verwehrung einer Immunitätsaufhebung gelten, schließlich hängt das Immunitätsrecht eng mit der Frage der Funktionsfähigkeit des Parlaments zusammen. Es heißt hierzu: Der Landtag hat zu bewerten, „ob sein Interesse an der ungestörten Mitarbeit des betroffenen Landtagsmitglieds gegenüber anderen öffentlichen Belangen, besonders gegenüber dem Interesse an einer gleichmäßigen und gerecht geübten Strafrechtspflege, überwiegt.“

Grundsätzlich werden die Entscheidungen über Immunitätsaufhebungem im zuständigen Ausschuss nicht als Fraktion beschlossen, sondern von aus den Fraktionen Gewählten – meist juristisch erfahrenen oder langjährig zugehörigen Parlamentsmitgliedern. So unterliegen die im Ausschuss getroffenen Entscheidungen meist auch keiner vorherigen Debatte. Dies tun sie im Regelfall erst, wenn ein Landtagsabgeordnete_r der Aufhebung der Immunität widerspricht und der Vorgang somit dem Plenum zur Beschlussfassung vorgelegt werden muss.

Dementsprechend wusste ich zum Zeitpunkt der Ausschussentscheidung weder, auf welcher Basis die Aufhebung der Immunität von Juliane Nagel beantragt wurde oder die Entscheidung kritikwürdig ist.

Dass diese Informationen normalerweise nicht breit getragen werden, hat übrigens eine doppelte Schutzfunktion für die betroffenen Abgeordneten: Zum einen kann er/sie so im geschlossenen Kreis des Ausschusses seine Position vortragen, ohne dass er/sie einer Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit unterliegt. Zum anderen sind seine Aussagen in geschlossener Sitzung für ein mögliches folgendes Verfahren nicht gegen Ihn verwendbar.

Nach dem Artikel in der L-IZ habe ich einige Anfragen bekommen und mich deshalb auch noch mal direkt über das Verfahren im Immunitätsausschuss informiert.

Zunächst: Im L-IZ-Artikel kommen nur Linke-Politiker zu Wort und wird Juliane Nagel offenkundig selbst nicht direkt zitiert. Das ist komisch, da sie vor einer solchen Entscheidung im Immunitätsausschuss ein Anhörungsrecht hat. Sie  sollte also am besten wissen, auf welcher Basis die Entscheidung dort gefallen ist.

Nach meinen Informationen hat Sie von diesem Anhörungsrecht Gebrauch gemacht und wohl selbst erklärt, dass Sie die Vorwürfe in einem geordneten Verfahren widerlegen will. Ergo ist die Aufhebung sogar nötig und von ihr selbst gewollt.

Die im Artikel der LIZ beschriebene kontroverse Abstimmung kam zudem wohl deshalb zu Stande, weil die Linken im Ausschuss eine bereits zweimal anberaumte Entscheidung erneut vertagen wollten. Dass auf Basis der Geschäftsordnung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Aufhebung der Immunität zur Einleitung eines Verfahren sachlich zu folgen ist, hätten die Vertreter_innen der Fraktion dagegen nicht widersprochen.

Kurzum, ich habe den Eindruck, dass hier etwas (partei-)politisch aufgeladen wird. Die Geschäftsordnung des Landtages wird am Beginn jeder Legislatur mit mindestens zwei Dritteln beschlossen und kann mit derselben Mehrheit geändert werden. Sie hat aber die Zustimmung aller Fraktionen gefunden – ohne an diesem Punkt in Diskussion gestanden zu haben.

Sie definiert damit Spielregeln, an die sich dann alle auch halten sollten. Das haben wir als Fraktion in der letzten Legislatur übrigens auch getan als Verfahren u. a. gegen Martin Dulig, Dagmar Neukirch, Hanka Kliese oder Sabine Friedel aufgrund von Beteiligungen an Sitzblockaden in Dresden eingeleitet wurden.