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Bericht: Delegationsreise nach China

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Was ist China heute, wohin will und wohin bewegt sich das bevölkerungsreichste Land der Welt?

Eindrücke dazu konnte ich vom 8. bis 17. September im Rahmen eines internationalen Parlamentarieraustausches sammeln. Mit zwei deutschen, zwei amerikanischen, einem italienischen und britischen Kollegen trafen wir auf 4 chinesische Vertreter aus Politik, Medien, Wissenschaft und Verwaltung. Perfekt organisiert und begleitet wurde die Delegationsreise vom Generalsekretär Herrn Ni Jian und vier Mitarbeiterinnen der CAFIU (chinese association for international understanding).
Mit Ihnen konnten wir uns über 8 Tage im Land frei bewegen und austauschen. Besuchen konnten wir neben vielseitigen Stationen in und um die Hauptstadt Peking mit ihren 23 Millionen Einwohnern, auch die westliche Provinz Qinghai. Diese zählt mit nur 6 Mio. Einwohnern auf der doppelten Fläche der BRD, aber über 50 Minderheiten und zahlreichen Religionen zu den weniger entwickelten, dafür aber landschaftlich schönsten. Zudem gab es 3 Workshops und eine Konferenz deren Ziel es war, uns Schwerpunkte der Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik der chinesischen Regierung näher zu bringen und zu diskutieren. Dabei kamen durchaus auch schwierige und konfliktgeladene Themen zu Sprache. Insgesamt war allseitig das ernsthafte Bemühen um einen offenen Dialog und eine Mehrung des gegenseitigen Verständnisses zu spüren.

So lernten wir, dass abseits des in Deutschland vorherrschenden – und von den Millionenmetropolen des Ostens geprägten – Bildes der aufsteigenden Wirtschafts-Supermacht China noch große strukturelle Probleme bewältigen muss.

So sind große Teile – insbesondere im Westen – des Landes noch als Entwicklungsregionen einzustufen. China geht dies strategisch und mit einem geopolitischen Ansatz an, der im Projekt „One road, one belt“ zusammengeführt wird.

Ziel ist es eine ganze Region, mit Elementen wie einer transnationalen Entwicklungsbank, Freihandelsabkommen, sowie großen Infrastrukturprojekten im Verkehrs- und Energiesektor zu entwickeln und den internationalen Handel zu befördern.

Auch mangelt es der Wirtschaft in der Breite noch an Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Die Regierung versucht dies u.a. durch eine Öffnung für internationale Investoren, Erleichterungen für Existenzgründer, Ausbau der Wissenschaftseinrichtungen und öffentlich finanzierte Inkubatoren für Start-Ups – insbesondere im IT- und Forschungssektor – zu beschleunigen.

Auch ein weiteres Entwicklungshemmnis: Korruption und Vetternwirtschaft im Land geht die Führung der KP China mit einer bisher beispiellosen Konsequenz an. Schon bisher wurden über 30.000 Gerichtsverfahren geführt, die auch vor ranghöchsten Vertretern der Staatsführung keinen Halt machen. Intern seien die Zahlen sogar noch deutlich höher.

Der von hiesigen Medien verbreitete Eindruck, hier gehe es vor allem um Imagepflege oder gar interne Machtkämpfe dürfte daher fehl gehen. Das erklärte Ziel der Anti-Korruptionsinitiative ist nicht mehr und nicht weniger, als die Glaubwürdigkeit der KP wieder vollständig herzustellen und deren Führungsanspruch zu festigen.

Trotz aller Investitions- und Wachstumsinitiativen zeichnet sich eine allmähliche Abkehr vom bisherigen Entwicklungsweg Chinas ab. Dieser führt weg vom hohen quantitativen zum stärker qualitativen Wachstum auf ein für Ökologie und Wirtschaft verträglicheres Niveau. Das Wort vom „new normal“ mit Wachstumsraten bei 6 Prozent macht die Runde und ist angesichts des bisherigen Turbowachstums und aus den Boden schießenden Hochhausstädten nur allzu verständlich.

Die internationalen Finanzmärkte – die in den vergangenen Jahren von zweistelligen Wachstumsraten in China verwöhnt worden – werden dennoch nervös. Steigende Löhne und die durch den immensen Außenhandelsüberschuss härtere Währung, setzen die Exportwirtschaft unter Druck. Im Land gibt es wirtschaftliche Risiken die vor allem in einem bisher extrem hohen Anteil des Bausektors am Wachstum und einem potentiell überhitzten Immobilienmarkt liegen. Wieviel Sprengkraft in diesem Sektor steckt, der nicht zuletzt Beschäftigung für die ca. 250 Mio. Wanderarbeitern im Land bietet, kann man bisher nur erahnen.

Auch die demografische Entwicklung mit sich abzeichnender Überalterung birgt Herausforderungen, welche die Führung des Reiches der Mitte zum Überdenken der bisher strikten Ein-Kind-Politik veranlassen. Auch Reformen und neue Versicherungen für das Sozialsystems werden vor diesem Hintergrund in Betracht gezogen.

Zusammenfassend ist das Reich der Mitte in einem sehr dynamischen Wandlungsprozess. Die Politik steht dabei vor der immensen Herausforderung, die größer gewordenen materiellen Bedürfnisse – auch die eines auf 400 Mio. Menschen angewachsenen Mittelstands – zu befriedigen und gleichzeitig zu vermeiden, dass die sozialen Spaltung und Spannungen wachsen.

Zu spüren war dennoch, dass die Führung Chinas ein immenses Interesse daran hat, den internationalen Dialog zu führen und selbstbewusst einen Platz in der internationalen Gemeinschaft einzunehmen. Damit folgt die KP China einem Kurs, der seit der Nixon-Reise in den 70er Jahren massiv zur Öffnung des Landes in wirtschaftlicher, inzwischen aber auch kultureller Dimension geführt hat und eine Chance, keine Bedrohung für den Westen darstellt.

Übrigens auch einem Kurs, der in der Bevölkerung breite Unterstützung zu genießen scheint. Neben der unglaublichen Gastfreundschaft die uns überall zu Teil geworden ist, spürte man insbesondere in Gesprächen mit der jungen Generation, neben einem gewachsenen Selbstbewusstsein, dass es ein großes Interesse an der westlichen Welt gibt. Das Land ist weiter im Wandel.

Holger Mann, MdL